BSG: Zu­satz­nutzen­be­wer­tung für therapeutische Solisten unzulässig

Urteil zu Rapiscan®

Mo, 27.02.2023
Seit 2011 hat der G-BA die gesetzliche Aufgabe, für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen sofort nach Markteintritt den Zusatznutzen gegenüber der bisherigen Standardtherapie (der sogenannten zweckmäßigen Vergleichstherapie, zVT) zu prüfen (§ 35a SGB V). Dieser Zusatznutzen gegenüber der zVT bildet die maßgebliche Grundlage für die nachgestellte Preisverhandlung. Das Bundessozialgericht (BSG) sieht im Fall Rapiscan® die Zusatznutzenbewertung bei einem therapeutischen Solisten, d.h. ohne zugelassene zVT-Option als unzulässig an.

Rapiscan® wurde 2019 als pharmakologischer Stressauslöser für die Messung der fraktionellen Flussreserve vom G-BA einer Nutzenbewertung unterzogen. Diese mündete schließlich in einen Schiedsspruch durch die Schiedsstelle. Der pharmazeutische Unternehmer klagte zunächst erfolglos beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, allerdings hat das BSG im Revisionsverfahren der Klage nun stattgegeben. Die Sitzung fand am 22.02.2023 statt.

Das BSG sieht den Schiedsspruch und die zugrunde liegende Nutzenbewertung als rechtswidrig an, weil es sich bei dem Arzneimittel um einen therapeutischen Solisten handelt:

„Für eine Nutzenbewertung, die mangels einer heranziehbaren Vergleichstherapie im Anwendungsgebiet nicht auf die vergleichende Bewertung eines Zusatznutzens zielen kann, bietet § 35a SGB V in dieser Ausgestaltung im Gefüge des SGB V demgemäß keine Rechtsgrundlage."

Für den evidenzbasierten Nachweis eines Zusatznutzen gegenüber dem derzeitigen Standard bestimmt der G-BA regelhaft die zVT im Anwendungsgebiet des zu bewertenden Medikaments. Eines der Kriterien des G-BA ist die Zulassung im Anwendungsgebiet. Im vorliegenden Fall hatte der G-BA als zVT ausschließlich Arzneimittel im Off-Label-Use benannt ("pharmakologische Stressauslösung nach Maßgabe des Arztes"). Dies sieht das BSG nun nicht als zulässige zVT an. Laut BSG habe der G-BA den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum als Normgeber überschritten. Die (rückwirkenden) Implikationen dieses Urteils auf Verfahren mit „therapeutischen Solisten" ohne bisher zugelassene Therapieoptionen im Anwendungsgebiet können mannigfaltig sein und sind bisher nicht klar abzuschätzen.

In einer internen Analyse hat SKC etwa 70 Arzneimittel bzw. zugehörige G-BA Verfahren identifiziert, die ganz oder teilweise von dem entsprechenden Sachverhalt betroffen sein könnten. In jenen Verfahren wurde die zVT mangels Optionen als „Beobachtendes Abwarten" oder „Best Supportive Care" definiert. Die therapeutische Sonderstellung eines Solisten betrifft hier in besonderem Maße die seltenen Erkrankungen, bei denen es oftmals keine zugelassenen Arzneimittel im Anwendungsgebiet gibt. Insbesondere wenn diese sogenannten Orphan-Drugs aufgrund ihres jährlichen Umsatzes (>30 Mio. €) einer erneuten Nutzenbewertung unterzogen werden müssen, wird die zVT für die Preisgestaltung relevant.

Es bleibt offen, welche Wellen das Thema nun schlagen wird. Der G-BA und insbesondere die Vertreter der GKVen werden sich sicherlich in Kürze dazu positionieren. Laut dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) ist es zu erwarten, dass die vermeintliche „Regelungslücke" bald geschlossen wird, da das zuständige Bundesministerium für Gesundheit (BMG) erfahrungsgemäß keine derartigen unregulierten Freiraum erhalten möchte. Die maßgebliche Urteilsbegründung des BSG wird frühestens im Mai erwartet.

Insbesondere in Anbetracht des bevorstehenden Rare Disease Day ist die Sonderstellung der therapeutischen Solisten im Fokus. SKC verfolgt, analysiert und antizipiert die politischen Entscheidungen und ihre jeweiligen Umsetzungen im Details und bezieht diese direkt in die Beratungen der Klienten mit ein.

Quellen:
- BSG – Terminbericht
- Nutzenbewertung gemäß AMNOG
- MAIS-Datenbank (kombiniert AMNOG Verfahren und Lauer-Taxe)

 

Über den Autor

Ihr Ansprechpartner Dr. rer. nat. Ingo Hantke
Dr. rer. nat. Ingo Hantke
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