Medizinprodukte­verordnung

Zum aktuellen Stand

Fr, 15.05.2020
Angesichts der Covid-19 Pandemie wurde am 03. April 2020 ein Antrag zur Verschiebung des Geltungs-beginns der neuen Medizinprodukteverordnung (MPV) von der Europäischen Kommission veröffentlicht. Dem Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed) geht die Verschiebung der Übergangsfrist nicht weit genug. Es wird gefordert, die MPV als Gesamtpaket zu verschieben – diese Ansicht teilen viele Medizinproduktehersteller schon seit langem.

Die aktuelle weltweite Coronavirus-Pandemie hat die EU-Kommission dazu bewegt, die Termine der neuen MPV verändern zu wollen. Auch wenn dieser Schritt allgemein begrüßt wird, bleibt abzuwarten, wie die geplante verlängerte Übergangsfrist bis zum 26. Mai 2021 hinsichtlich der Zulassungen von Medizinprodukten ablaufen wird. Laut BVMed ist nicht durchdacht worden, wie Benannte Stellen Re- und Neu-Zertifizierungen handhaben werden, zumal die auf Grund der Pandemie eingeführten Sicherheitsmaßnahmen nötige Vorort-Audits ausschließen. In seiner offiziellen Stellungnahme weist der BVMed außerdem darauf hin, dass die Marktaufsicht von Medizinprodukten, die zur Versorgung der Corona-Patienten zwingend notwendig sind, nicht einheitlich geregelt ist: Produkte, die zur persönlichen Schutzausrüstung zählen, sollen nicht mehr das aufwendige Konformitätsbewer-tungsverfahren durchlaufen – Produkte, die für die Beatmungstherapie benötigt werden, hingegen schon.1

Diese offenen Fragen und Widersprüche erscheinen nebensächlich, wenn man bedenkt, dass die neue MPV schon seit längerem offen kritisiert wird. Bereits im Mai 2019 hat der SPECTARIS Fachverband Medizintechnik auf Handlungsbedarf hingewiesen und um politische Unterstützung gebeten.2 Insgesamt wurden sieben Punkte aufgeführt, wo Nachbesserungen in den Regelungen empfohlen wurden. Schutz von Bestands- und Nischenprodukten, der Erhalt von Produktionslieferketten oder die Ausgangslage für klinische Bewertungen seien nicht optimal geregelt, sie würden eher zu Versorgungsengpässen und Existenzschwierigkeiten kleiner und mittelständischer Unternehmen führen. Schärfere Verordnungen dürften nicht den medizinischen Fortschritt gefährden, so hieß es. Bei einer damaligen Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelkammertages rechneten fast 80 % der deutschen Medizintechnikunternehmen mit erheblichen Schwierigkeiten, zukünftig noch innovative Produkte auf den Markt bringen zu können. Einer aktuellen Umfrage der Climedo Health GmbH nach schätzen 77 % der Befragten die neue MPV als sehr schwierig ein.3 Als größte Herausforderung werden dabei die Unklarheit bezüglich der neuen Anforderungen sowie höherer Ressourcenaufwand und Kostenanstieg genannt.

Die Medizintechnikunternehmen fühlen sich durch die von der EU-Kommission schleppende Umsetzung der MPV in ihrer Unsicherheit bestätigt. Die allgemeinen Zweifel an der Funktionsfähigkeit der EUDAMED Datenbank führten bereits im Dezember 2019 dazu, die Fristen entsprechend anzupassen. Doch das größte Problem scheint bei den Benannten Stellen zu liegen. 75 % der deutschen Medizintechnikunternehmen klagten damals über zu lange Wartezeiten von der Antragsstellung bis zur Zertifzierung ihrer Produkte. Im Jahr 2019, ein Jahr vor dem eigentlichen geplanten Inkrafttreten der MPV im Mai 2020, war nur eine einzige Benannte Stelle von der EU benannt, etwa 40 Tage vor dem alten Stichtag waren es gerade mal 12 Stück.4 Wie sollen diese bislang 12 Benannten Stellen in der Lage sein, die rund 27.000 europäischen Medizintechnikunternehmen zu betreuen und alle nötigen Neu- und Rezertifizierungen umzusetzen, die laut neuer MPV auch erhöhten Prüfaufwand bedeuten?

Wenn während der aktuellen Covid-19 Pandemie der Fokus auf eine Verhinderung der Versorgungsengpässe von Medizinprodukten und auf das Wohl der Patienten gelegt wird, so sollte bzw. muss sich diese Einstellung und Bemühung auf die MPV und Medizinprodukte im Allgemein übertragen. Politische Entscheidungen sind notwendig, die nicht nur die Übergangsfrist praktikabel machen, sondern insbesondere eine optimierte MPV in die Wege leiten, die sowohl die Sicherheit der Patienten als auch die Interessen der Medizintechnikunternehmen gewährleistet.
An dieser Stelle sei an die Patientinnen des PIP-Brustimplantateskandals aus dem Jahr 2010 gedacht, der Auslöser für eine Veränderung der MPV war. Bereits 1996 hatte es erste Klagen gegen den Hersteller gegeben. Heute, knapp 25 Jahre später, liegt immer noch nicht eine adäquate MPV vor.

  1. Bundesverband Medizintechnologie e.V. „BVMed-Kurzstellungnahme zum Referentenentwurf des BMG zu einer Verordnung zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Pro-dukten des medizinischen Bedarfs bei der durch das Coronavirus SARSCoV-2 verursachten Epidemie (Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung – MedBVSV)" vom 09.04.2020; https://www.bvmed.de/de/bvmed/positionspapiere-stellungnahmen

  2. SPECTARIS „Fahrplan zur neuen europäischen Medizinprodukteverordnung gefährdet Patien-tenversorgung und bremst Innovationen"; Mai 2019; Ansprechpartnerin Corinna Mutter; https://www.spectaris.de/fileadmin/Content/Verband/Themenspecial/20190502_Potsdam-Papier_final.pdf
  3. Climedo Health Umfrage vom 26. Februar bis 25. März 2020, über 100 Medizinprodukteher-steller; https://www.devicemed.de/proposal-fuer-verschiebung-des-mdr-geltungsbeginss-a-920655/?cmp=nl-225&uuid=867AE22A-E5AE-4487-8AA5-1AF41F258B85

  4. SPECTARIS „EU-Medizinprodukteverordnung: die Uhr tickt"; download 15.04.2020 https://www.spectaris.de/verband/themen/mdr/

 

Über den Autor

Ihre Ansprechpartnerin PD Dr. rer. nat. Sabrina Schlie-Wolter
PD Dr. rer. nat. Sabrina Schlie-Wolter
Dipl.-Biologin
Fon: +49 511 64 68 14 – 0
Fax: +49 511 64 68 14 – 18
nach oben