Konformitäts­bewertungs­verfahren von Medizin­produkten

Wie sinnvoll sind sie?

Di, 07.07.2020
Um ein Medizinprodukt oder Material, das in Kontakt mit dem menschlichen Körper ist, auf den Markt bringen zu können, ist jeder Medizinproduktehersteller seitens der Medizinprodukteverordnung (MPV) dazu verpflichtet, dessen biologische Sicherheit nachzuweisen. Die Risikobewertung basiert auf einem Nachweis der Biokompatibilität, was sich an dem internationalen Standard ISO 10993 orientiert. Allerdings sollte diese Norm nicht der Standard sein, an dem sich die Medizinproduktehersteller orientieren.

Den Medizinprodukteherstellern sei an dieser Stelle empfohlen, parallel zu dem verbindlichen Kon-formitätsbewertungsverfahren schon während des Entwicklungsprozesses ihrer neuen Produkte die biologische Bewertung selbst durchführen zu lassen. In vitro Analysen sollten ein fester Bestandteil ihres Qualitätsmanagements sein: eine frühzeitige Optimierung ihrer Medizinprodukte wäre möglich und Kosten ließen sich sparen. Dabei lassen Zellkulturverfahren nicht nur eine Aussage über die Toxizität der Materialien zu; auch Nachweise über die Geweberegeneration oder Korrelationen mit Infektionen sind möglich. Diese Nachweise gehen weit über die Biokompatibilität hinaus und bele-gen nicht nur die Patientensicherheit, sondern auch mögliche Marktvorteile des neuen Produktes, sodass die erhobenen Daten strategisch wertvoll sind.

Der Risikoklasse des Medizinproduktes entsprechend wird die biologische Bewertung entweder vom Hersteller selbst oder von einem unabhängigen zertifizierten Prüflaboratorium durchgeführt. Die Art des Kontaktes und die Kontaktzeit zwischen dem Medizinprodukt und dem menschlichen Körper bestimmen, welche Nachweisverfahren aus dem Methodenkatalog der ISO 10993 Normreihe durchgeführt werden müssen. Implantate der Risikoklasse III müssen viele Prüfungen bestehen, ehe die Marktzulassung erfolgt. Grundvoraussetzung ist der Nachweis der Biokompatibilität, d. h. vom Medizinprodukt dürfen keine schädlichen Einflüsse auf den Körper ausgehen. Neue Implantate bzw. Implantatmaterialien werden in erster Linie in in vivo Studien evaluiert – nur die ISO 10993-5 sieht eine in vitro Beurteilung der Toxizität vor. Ob es ethisch vertretbar ist, diese Vielzahl von Tierversuchen zu fordern oder stattdessen alternative Verfahren wie in vitro Messungen heranzuziehen, sei hier dahingestellt. Ein Blick in die ISO 10993-5 macht aber deutlich, dass auch in dieser empfohlenen Zellkulturmethode Optimierungsbedarf besteht. Die angedachten Versuche zum Nachweis der Toxizität sind nur auf eine Kulturdauer von 48 Stunden beschränkt – zu wenig, um Langzeiteffekte beobachten zu können. Darüber hinaus sollen die Versuche mit Zelllinien durchgeführt werden. Bei Zelllinien handelt es sich um genetisch veränderte Zellen, die zwar aufgrund ihrer Unsterblichkeit, ihrer kostengünstigen Kultivierung und hohen Zelldichte bei immer gleichbleibender Qualität attraktive Zellmodelle in der Zellbiologie darstellen. Aber aufgrund ihrer genetischen Veränderung ist die Übertragbarkeit der Ergebnisse sehr fraglich. Nicht nur das: die Zelllinien, die laut der Norm verwendet werden sollen, sind NIH3T3 und L929 Fibroblasten. Dabei handelt es sich um Bindegewebszellen, die aus der Maus stammen. Warum werden keine humanen Zellen genutzt? Warum beschränken sich die geforderten in vitro Nachweisverfahren ausschließlich auf Toxizitätstests? Betrachtet man den aktuellen Stand der Forschung, so sollten die Behörden den Zellkulturverfahren doch mehr Aussagekraft und Verlässlichkeit zutrauen als sie es bislang tun.

Quellen:

  • https://www.iso.org/obp/ui
  • ISO 10993-5:2009-06 Biologische Beurteilung von Medizinprodukten - Teil 5: Prüfungen auf In-vitro-Zytotoxizität

Über den Autor

Ihre Ansprechpartnerin Dr. rer. nat. Sabrina Schlie-Wolter
Dr. rer. nat. Sabrina Schlie-Wolter
Manager Market Access
Dipl.-Biologin
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