Verschreibung und Abrechnung von digitalen Gesundheits­anwendungen

Ein weiterer Schritt in Richtung klinischer Anwendung

Mi, 05.08.2020
Bereits Ende August können die ersten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der Gesundheitsversorgung zur Anwendung kommen und erstattet werden. Doch wie genau wird die Gesundheitsversorgung mit einer DiGA aussehen, auf welche Weise kann ein Arzt ein „digitales Therapeutikum" verschreiben, wie gelangt eine DiGA in die Hände des Patienten und wie werden die zugehörigen Kosten und Leistungen mit den Krankenkassen abgerechnet?

Hierzu haben in den vergangenen Wochen die Spitzenverbände der DiGA Hersteller zusammen mit den Krankenkassen und dem GKV-SV eine Verordnungs- und Abrechnungslösung für DiGAs entwickelt, die sie im Rahmen der DiGA-Sprechstunde, ein vom Health-Innovation-Hub – HiH gestartetes Konferenzformat, vorgestellt haben. Wie von den Teilnehmern beschrieben wurde, galt es einige Hürden zu überwinden, denn der Prozess des Verschreibens einer DiGA stellt einen neuen Meilenstein dar, für welchen bislang kein entsprechender Verschreibungs- und Abrechnungsmechanismus definiert wurde. Um eine zeitnahe Umsetzbarkeit zu gewährleisten, haben sich die Spitzenverbände und Krankenkassen daher zuerst auf vorläufige Verschreibungsmechanismen geeinigt, bei welchen sie auf bereits etablierte Verfahrensweisen zurückgreifen.

Wie bei allen anderen GKV-Leistungen, soll auch bei DiGAs das Sachleistungsprinzip greifen: Patienten sollen beim Kauf einer DiGA, z.B. in einem App-Store, nicht in Vorkasse gehen müssen. In gewohnter Weise soll der Patient eine Verschreibung erhalten, welche er an einer geeigneten Stelle einlösen kann. Als naheliegendste und passendste Übergangslösung wurde das bekannte Muster 16 Rezept (Verordnungsformular für Arznei-, Verbands- und Hilfsmittel) gewählt, für welches keine neue Abrechnungs-grundlage geschaffen werden musste. Mithilfe der Verwendung von Pseudo-Pharmazentralnummern (Pseudo-PZNs) ist eine zeitnahe Umsetzung der Abrechnungsgrundlage ohne umfangreiche Anpassung der Praxisverwaltungssysteme möglich. Perspektivisch wurde von allen Beteiligten hervorgehoben, dass der komplette Verordnungs- als auch Abrechnungsprozess zukünftig vollständig digital ablaufen soll.

Nach dem derzeitigen Vorgehen erhält der Patient vom Arzt ein Rezept zur Verordnung einer DiGA mit einer dazugehörigen Pseudo-PZN, welches der Patient an seine Krankenkasse weiterleitet. Die Verordnung bezieht sich jeweils auf eine spezifische DiGA eines bestimmten Herstellers. Die Möglichkeit einer Verordnung von „DiGA-Klassen", sodass der Patient aus einer Reihe DiGAs unterschiedlicher Hersteller wählen kann, ist bislang gesetzlich nicht vorgesehen. Neben der ärztlichen Verschreibung können sich Patienten auch mit einer Anfrage direkt an die jeweilige Krankenkasse wenden. DiGAs sind somit nicht zwingend verschreibungspflichtig, jedoch muss der Patient seiner Anfrage einen entsprechenden Nachweis einer medizinischen und ärztlich festgestellten Indikation beilegen. In beiden Fällen erstellt die Krankenkasse einen Rezeptcode, über welchen der gesamte Aktivierungs- und Abrechnungsprozess der DiGA abgewickelt wird. Auch hier können viele der Krankenkassen auf bereits implementierte Prozesse zurückgreifen, da die Freischaltung über zugesandte Codes bereits bei den meisten Versicherten-Apps erfolgreich genutzt werden. Zusammen mit dem Rezeptcode erhält der Patient von der Krankenkasse eine Anleitung, die zum einen erläutert von welcher Plattform er die DiGA beziehen kann, sowie ebenfalls weitere Informationen über den Aktivierungsprozess mit dem zugehörigen Rezeptcode. Der entscheidende Prozess in der Bereitstellung der DiGA ist somit nicht das Herunterladen der App, dieses ist zumeist vorher schon in Eigeninitiative des Patienten über einen App-Store oder die Homepage des Herstellers möglich, sondern die Aktivierung mit dem übermittelten Rezeptcode.

Zugleich stellt der Rezeptcode ab der Aktivierung durch den Patienten für DiGA-Hersteller die Abrechnungs-grundlage dar. Entsprechende Verfahrensweisen sind in der neuen Abrechnungsrichtlinie nach §302 Abs. 2 SGV V definiert, die kurz vor der Veröffentlichung steht. Demnach erhalten die DiGA-Hersteller mit dem aktivierten Rezeptcode des Patienten eine Berechtigung zur Abrechnung auf Basis der in der Preisverhandlung vertraglich festgehaltenen Parameter. Die zur Preisverhandlung zugehörige Rahmenvereinbarung zwischen den Spitzenverbänden und dem GKV-SV wird aktuell noch verhandelt. Es wurde im Vorfeld aber bereits deutlich gemacht, dass nicht ausschließlich eine Aktivierung eine vollständige Abrechnung rechtfertigt, sondern dass vielmehr ein gewisses Nutzungsverhalten der User mit einbezogen werden soll. Die Voraussetzungen für eine Abrechenbarkeit sind aber bereits bekannt. So wird es für DiGA-Hersteller in jedem Fall erforderlich sein bei der Informationsstelle für Arzneispezialitäten (IFA) eine PZN zu beantragen. Als Grundlage für die Abrechnung mit den Krankenkassen wird für die Hersteller ebenfalls das Vorhalten eines Institutionskennzeichen (IK) notwendig sein. Ein entsprechender Antrag ist bei der gleichnamigen Arbeitsgemeinschaft möglich, die bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) angesiedelt ist.

Von allen beteiligten Akteuren wurde hervorgehoben, dass die Verschreibungs- und Abrechnungsmechanismen unter enormen Zeitdruck entwickelt werden mussten, da mit der ersten abrechnungsfähigen DiGA bereits Ende August gerechnet werden kann. Sie betonten, dass unter diesen Umständen die vorläufige, papierbasierte Verordnung die bestmögliche Lösung darstellt. Allerdings sollen mit Beginn der Verschreibung der ersten DiGAs, die bestehenden Prozesse fortlaufend evaluiert und angepasst werden. Nichtsdestotrotz wird mit der Verabschiedung der Abrechnungsrichtline ein weiter Meilenstein, hin zur Anwendungsrealität mit digitalen Gesundheitsanwendungen erreicht.

Dennoch verbleiben für DiGA-Hersteller noch eine Reihe von Herausforderungen und offenen Fragestellungen. Mit dem neuen Fast-Track-Verfahren wird nun zwar gewährleistet, dass digitale Innovationen, sofern sie die Kriterien einer DiGA erfüllen, einen deutlich schneller Einzug in den Versorgung erhalten können. Dies wird aber nicht zwangsläufig dazu führen, dass DiGAs sofort eine breite Anwendung finden werden. Gerade auf Seiten der Ärzte bestehen noch eine Reihe von Unsicherheiten und ungelöste Fragen hinsichtlich der Einführung in die Funktionsweise der DiGAs und dem damit verbundenen Beratungsaufwand. DiGA-Hersteller müssen hier aktiv werden und Strategien entwickeln bestehende Informationslücken zu füllen. Noch ungewiss sind ebenfalls die Ausgestaltung und der Ablauf der Preisverhandlungen mit dem GKV-SV. Auch hier müssen Hersteller durchdachte Preis- und Verhandlungsstrategien entwickeln, um in den anstehenden Verhandlungsrunden zu bestehen. Für Fragestellungen zum Antragsverfahren und der Entwicklung von Preis- und Verhandlungsstrategien stehen wir DiGA-Herstellern als verlässlicher Partner zur Seite und verfolgen mit Spannung, wie sich zunehmend durch das DVG ein vollkommen neuer Leistungsbereich in der Gesundheitsversorgung etabliert.

Quellen:
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