10 Jahre AMNOG

Ein Resümee und Zukunftsausblick für das deutsche Nutzenbewertungsverfahren für innovative Arzneimittel

Di, 22.09.2020
Erst kürzlich, am 10.09.2020, hat die DAK-Gesundheit den AMNOG-Report 2020 veröffentlicht, in dem die Bilanz über die letzten 10 Jahre des deutschen AMNOG-Nutzenbewertungsverfahrens für neue Arzneimittel gezogen wird. Insgesamt erhält das AMNOG-Verfahren vonseiten verschiedener Stakeholder aus der Wissenschaft, Ärzteschaft, Krankenkassen und Pharmabranche eine positive Resonanz und wird als transparent, wissenschaftlich fundiert, fair, nachvollziehbar und schnell beurteilt. Neue Herausforderungen verlangen jedoch perspektivisch die Weiterentwicklung des Verfahrens.

Kernpunkte des AMNOG-Verfahrens:
Das am 22.12.2010 in Kraft getretene AMNOG („Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz") stützt sich auf die Prinzipien der evidenzbasierten Medizin unter Heranziehung belastbarer Studiendaten und zeigt eindrucksvoll auf, dass für die Nutzenbewertung neuer Wirkstoffe nicht im evidenzfreien Raum entschieden werden muss. In diesem Zusammenhang wird in Deutschland der Zusatznutzen eines neuen Wirkstoffs in einem standardisierten Verfahren unmittelbar nach dessen Markteintritt anhand von festgelegten Kriterien bewertet. Die zur Nutzenbewertung vorgelegten Studiendaten müssen nachweisen können, ob und inwiefern das neue Arzneimittel einen zusätzlichen Nutzen verglichen zum bislang verfügbaren Therapiestandard („zweckmäßige Vergleichstherapie"/ zVT) für die Patientenversorgung vorweist. Die Nutzenbewertung nach AMNOG bildet die wissenschaftlich fundierte Basis für die darauffolgenden Preisverhandlungen zwischen dem pharmazeutischen Unternehmer und dem GKV-Spitzenverband. Dabei folgt das AMNOG der Prämisse „der Preis folgt dem tatsächlichen Nutzen".

Ergebnisse des AMNOG-Berichtes 2020 nach 10 Jahren AMNOG:
  • Insgesamt durchliefen 265 Arzneimittel in insgesamt 439 Verfahren eine frühe Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bis Ende 2019.
  • Bei 24 % der Nutzenbewertungs-Verfahren handelte es sich um Orphan Drugs zur Behandlung eines seltenen Leidens.
  • In 57 % aller AMNOG-Verfahren konnte ein Zusatznutzen belegt werden.
  • Der durchschnittliche Abschlag auf den Launch-Preis des pharmazeutischen Unternehmers liegt bei circa 21 %. In diesem sind vertrauliche und selektivvertragliche Rabatte noch nicht berücksichtigt.
  • Für 31 % der Arzneimittel sind bislang weitere Preissenkungen erfolgt, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem initialen Nutzenbewertungsverfahren stehen, sondern die anhand der tatsächlichen Verordnungsmengen und Versorgungseffekte nachträglich angepasst wurden.
  • Trotz oder gerade aufgrund des AMNOG sind in Deutschland die schnellsten Marktzugangszeiten sowohl bei klassischen Wirkstoffen als auch bei Orphan Drugs feststellbar. Weiterhin liegen die Marktaustritte mit 10 % auf einem geringen Niveau und waren bisher nicht versorgungsrelevant aufgrund vorhandener Versorgungsalternativen.
  • Pharmazeutische Unternehmer suchen zunehmend den frühzeitigen Kontakt zum G-BA im Rahmen von AMNOG-Beratungsanfragen zu Fragen der Studienplanung, Endpunkten oder der Dossiererstellung.

Der AMNOG-Report 2020 zeigt zudem, dass die Intention des AMNOG, Einsparungen zugunsten der Krankenversicherungen zu realisieren und die deutschen Arzneimittelpreise zu regulieren, erreicht wurde. Das ursprünglich anvisierte Einsparziel des AMNOG in Höhe von jährlich zwei Milliarden € wurde im Jahr 2019 mit mehr als drei Milliarden € realisierten Einsparungen weitaus übertroffen. Durch die Einsparungen stünden somit mehr finanzielle Mittel bereit, um neue teure Arzneimitteltherapien der personalisierten Medizin finanzieren zu können und auch in fortgeschrittenen Therapielinien bezahlbar zu machen. Dennoch steigen die Kosten neuer Arzneimittel auf dem deutschen Markt rasant an und haben sich seit 2010 von durchschnittlichen Jahrestherapiekosten in Höhe von 40.000 € auf derzeit 150.000 € nahezu vervierfacht. Um auch zukünftig ein finanziell stabiles Gesundheitssystem zu gewährleisten, sei es deshalb erforderlich, nicht nur den Nutzen eines neuen Arzneimittels systematisch zu bewerten, sondern ebenfalls den Preis.

Ausblick im Hinblick auf neue hochpreisige und individualisierte Therapien:
Das als lernende System konzipierte AMNOG ist mit zukünftigen Herausforderungen konfrontiert, die insbesondere die Nutzenbewertung und Finanzierung neuer hochpreisiger, teils millionenschwerer Orphan Drugs und ATMPs, beispielsweise im Bereich der CAR-T Cell Therapie, betreffen. Gentherapien zeichnen sich durch eine einmalige Gabe mit hohen Einmalkosten und nicht abschätzbaren Langzeiteffekten aus, die nicht selten zu Unsicherheiten und Evidenzlücken zum Zeitpunkt der initialen Nutzenbewertung führen. Aufgrund dessen wurde 2019 im §35a SGB V das neue Instrument der anwendungsbegleitenden Datenerhebung (awD; siehe dazu unser Whitepaper „Registry requirements for the German Benefit Assessment of pharmaceutical products") eingeführt, um das AMNOG fortzuentwickeln und an die veränderten Marktbedürfnisse anzupassen. Durch unabhängige Register mit prädefinierten Endpunkten soll die Möglichkeit geschaffen werden, in einem geordneten Verfahren Evidenz in der Anwendung („Real-World Data") zu generieren und für eine nachgelagerte Nutzenbewertung nach 2-3 Jahren verfügbar zu machen. Zur Sicherstellung eines reibungslosen AMNOG-Verfahrens empfiehlt der G-BA, spätestens bei einer Positive Opinion durch die EMA Kontakt zum G-BA bzgl. einer awD aufzunehmen, um zu evaluieren, ob ein Register frühzeitig aufgesetzt werden sollte.

Ein europäisches HTA-Verfahren ist aufgrund großer Differenzen in den Nationalstaaten und fehlender Harmonisierung der nationalen Nutzenbewertungskriterien bisher gescheitert. Im AMNOG-Report 2020 wird deutlich, dass das deutsche AMNOG-Verfahren als internationaler Vorreiter eine wichtige Präzedenz in Bezug auf die Methodenexzellenz in der Nutzenbewertung schafft. Der G-BA Vorsitzende Prof. Josef Hecken ist der Auffassung, dass ein Euro-HTA nur dann ein Fortschritt ist, wenn gewährleistet sei, dass aus den Nationalstaaten klare Bekenntnisse zur evidenzbasierten Medizin und somit zu gemeinsamen methodischen Kriterien erfolgen und wenn sichergestellt sei, dass die Nutzenbewertung auf Basis einer zVT erfolgt, die dem Versorgungsstandard der teilnehmenden Nationalstaaten entspreche.

Das AMNOG-Verfahren zeigt sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene zweifelsfrei den Mehrwert eines evidenzbasierten HTA-Verfahrens und die Relevanz der diesem zugrundeliegenden methodischen Qualität. Wir bei SKC analysieren grundsätzlich jegliche Anpassungen des Gesetzgebers und antizipieren für unsere Klienten die daraus individuell resultierende bestmögliche Strategie für das deutsche AMNOG-Verfahren. Durch zahlreiche Market Access- und Preisverhandlungsprojekte seit Einführung des AMNOG-Verfahrens hat SKC eine umfangreiche Expertise zu diesem Thema und unterstützt Sie gerne.

 

 

 

Über den Autor

Ihr Ansprechpartner Univ.-Prof. Dr. med. Matthias P. Schönermark
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