Umgang mit Skalen in der Nutzenbewertung

Status Quo und aktuelle Diskussionen

Do, 24.06.2021
Das Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) regelt in Deutschland seit 2011 die Nutzenbewertung von Arzneimitteln, welche sich an die Zulassung anschließt. Das Ergebnis dieser Nutzenbewertung bildet die Grundlage für die Preisverhandlung mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-SV) und hat somit großen Einfluss auf den Rabatt, der ein Jahr nach Markteinführung auf den Launch-Preis eines Medizinproduktes zu gewähren ist. Zur Bewertung des Zusatznutzens werden in Deutschland aus den klinischen Studien, die zur Nutzenbewertung herangezogen werden, ausschließlich patientenrelevante Endpunkte berücksichtigt [1]. Von entsprechend großer Bedeutung sind von PatientInnen berichtete Endpunkte (PROs, patient reported outcomes), durch die der Gesundheitszustand und die gesundheitsbezogene Lebensqualität der PatientInnen mittels Fragebögen erhoben werden können. Die Auswertung erfolgt über Skalen, doch die Unterscheidung von patientenrelevanten und aus PatientInnensicht unbedeutsamen Verbesserungen oder Verschlechterungen stellt die Nutzenbewertung vor einige Herausforderungen.

So gibt es zwar internationale Standards für die Entwicklung, den Einsatz und die Darstellung von PROs in Studien, jedoch werden diese von den verschiedenen Zulassungsbehörden und Health Technology Assessment (HTA) Einrichtungen in unterschiedlichem Maße akzeptiert. In Deutschland wird das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vom gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit der Nutzenbewertung von Arzneimitteln beauftragt. Dieses steht Responderanalysen, die die klinische Relevanz von Baseline-Veränderungen anhand von „minimal important differences" (MIDs) als Responsekriterium begründen, kritisch gegenüber und akzeptiert diese Art der Analyse seit Ende 2020 i.d.R. nicht mehr. In der Tat sehen auch andere die Vielfalt der terminologischen Unterschiede bei der Definition von MIDs sowie der methodischen Herleitung von Relevanzschwellen, die in der Folge zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können, problematisch [2].

In der 6. Version seines Methodenpapiers vom November 2020 hat das IQWiG daher einen Schwellenwert von 15 % der Skalenspannweite als Kriterium einer patientenrelevanten Veränderung für Responderanalysen eingeführt [3]. Für Analysen stetiger Daten kann alternativ eine generische Irrelevanzschwelle für standardisierte Mittelwertdifferenzen (Hedges' g) von 0,2 herangezogen werden [3]. Jedoch sind diese Schwellenwerte nicht geeignet, einen minimalen relevanten Unterschied zu definieren und dokumentieren, und dies ist vom IQWiG auch nicht beabsichtigt. Sie sollen hingegen sicherstellen, dass die gemessene Veränderung für die PatientInnen eine hinreichend spürbare Veränderung darstellt und somit sicher und indikationsübergreifend patientenrelevant ist [4]. Das IQWiG bewertet diese Herangehensweise als praxistauglich, da sie von den pharmazeutischen Unternehmern schnell umgesetzt wurde und seit der Einführung keine großen Abweichungen im Ergebnis der Bewertungen festgestellt wurden [5].

Bei der Vortragsveranstaltung „IQWiG im Dialog" am 18.06.2021 waren diese Schwellenwerte jedoch im Mittelpunkt der Diskussionen. Hier wurde aus dem Plenum unter anderem die Frage nach der Anfälligkeit für Manipulation dieser Methode aufgeworfen und angemerkt, dass einheitliche Schwellenwerte nicht angemessen seien, da eine erhebliche Variabilität bei der Relevanz von Endpunkten vorliege. Auch wurde die Sorge geäußert, dass durch das aktuelle Vorgehen Unterschiede, die für bestimmte Patientengruppen relevant sein könnten, trotzdem als nicht relevant definiert werden könnten. Die BAG Selbsthilfe bezeichnete eine wissenschaftliche Verfeinerung der Debatte über MIDs und Skalenspannweiten aus PatientInnensicht als begrüßenswert. Laut eigener Aussage ist das IQWiG weiter auf der Suche nach aussagekräftigen Responsekriterien und betrachtet neue Ansätze zur Bestimmung von Schwellenwerten für klinische Relevanz, wie sie von Johannes Giesinger der Medizinischen Universität Innsbruck vorgestellt wurden [6], als diskussionswürdig.

In den kommenden Jahren sind durch das IQWiG also weitere Änderungen der Anforderungen an die Darstellung von PROs in Nutzenbewertungsdossiers nicht auszuschließen. Dies könnte sich auch auf die Nutzenbewertungsverfahren von Arzneimitteln, deren klinische Studien bereits laufen, auswirken.

Wir bei SKC behalten diese Herausforderung im Blick und freuen uns darauf, Sie bei der Navigation durch die sich kontinuierlich verändernden Rahmenbedingungen der Dossiererstellung zu unterstützen. Kurze Kommunikationswege, ein stetiger Informationsfluss und unsere agile Arbeitsweise ermöglichen es uns, gemeinsam mit unseren Klienten stets schnell und flexibel auf sich ändernde Umstände zu reagieren.

Quellen:

  1. Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses
  2. Devji T, Carrasco-Labra A, Guyatt G. Mind the methods of determining minimal important differences: three critical issues to consider. Evidence-Based Mental Health 2021;24:77-81
  3. IQWiG Allgemeine Methoden Version 6.0
  4. Dokumentation und Würdigung der Anhörung zum Entwurf der Allgemeinen Methoden 6.0
  5. Pressemitteilung des IQWiG vom 18.02.2021
  6. IQWiG im Dialog 2021

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