Urteilsbegründung des BSG verdeutlicht Sonderstellung der zulassungs­recht­lichen Solisten

G-BA fordert schnelle Gesetzesänderung

Mo, 20.03.2023
Seit 2011 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die gesetzliche Aufgabe, für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen sofort nach Markteintritt den Zusatznutzen gegenüber der bisherigen Standardtherapie (der sogenannten zweckmäßigen Vergleichstherapie, zVT) zu prüfen (§ 35a SGB V). Dieser Zusatznutzen gegenüber der zVT bildet die maßgebliche Grundlage für die nachgestellte Preisverhandlung. Das Bundessozialgericht (BSG) hatte im Februar 2023 die Zusatznutzenbewertung bei einem zulassungsrechtlichen Solisten, d.h. einem Arzneimittel mit ausschließlich nicht zugelassenen zVT-Optionen, als unzulässig erklärt. Nun wurde die Urteilsbegründung veröffentlicht.

Rapiscan® wurde 2019 als pharmakologischer Stressauslöser für die Messung der fraktionellen Flussreserve vom G-BA einer Nutzenbewertung unterzogen. Diese mündete schließlich in einem Schiedsspruch durch die Schiedsstelle. Der pharmazeutische Unternehmer klagte zunächst erfolglos beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, allerdings hat das BSG im Revisionsverfahren der Klage nun stattgegeben. Die Sitzung fand am 22.02.2023 statt, die Urteilsbegründung ging am 14.03.2023 ein.

Die Urteilsbegründung des BSG verdeutlicht nun die Sicht des Gerichts, dass eine Nutzenbewertung eines zulassungsrechtlichen Solisten rechtswidrig ist und damit alle darauf basierenden Schiedssprüche und Preisverhandlungen unwirksam sind.

Bei Arzneimitteln stelle die Zulassung sicher, dass diese grundsätzlich für die Indikation geeignet seien. Der G-BA könne lediglich darüber hinaus den Zusatznutzen gegenüber Therapiealternativen bewerten. Eine derartige Zusatznutzenbewertung eines therapeutischen Solisten sei allerdings rechtswidrig und unwirksam, weil es sich bei der Nutzenbewertung nach § 35a SGB V um eine Zusatznutzenbewertung im Vergleich zu einer vom G-BA bestimmten zVT handelt. Da in dem Fall eines therapeutischen Solisten jedoch keine zVT bestimmt werden kann, ist über die Nutzenbewertung nicht zu beschließen.

Interessanterweise erwähnt das Gericht explizit die gesetzlich vorgenommene Ausnahme der Orphan Drugs für seltene Leiden, für welche eine zVT nicht definiert werden muss und der Zusatznutzen bereits durch die Zulassung als belegt gilt. Ob somit das Urteil auch die Orphan-Verfahren, in denen das Medikament ebenfalls einen Solisten darstellt, in Frage stellt, ist nicht ganz klar und bleibt der juristischen Interpretation überlassen.

Im Anwendungsgebiet von Rapiscan® handelt es sich nicht um ein seltenes Leiden, allerdings dennoch um einen therapeutischen Solisten. Es wurden ausschließlich Medikamente im Off-Label-Einsatz als zVT definiert. Dies sei nicht zulässig, da der Off-Label-Use krankenversicherungsrechtlich nicht zweckmäßig sei. Lediglich klar definierte Ausnahmen können nach Beschluss vom G-BA zur Verordnungsfähigkeit in Betracht gezogen werden (Anlage VI zu K, AM-RL).

Das Urteil kann für einige Nutzenbewertungsverfahren erhebliche Auswirkungen bis hin zur Unzulässigkeit der verhandelten Erstattungsbeträge haben – und damit den Weg zurück zum Launch-Preis ebnen.

  • Direkt betroffen von der gerichtlich bestätigten Sonderstellung eines Solisten könnten potenziell alle „Non-Orphan"-Verfahren sein, in welchen die zVT mangels zugelassener Optionen als „Beobachtendes Abwarten", „Best Supportive Care" oder „(patientenindividuelle) Therapie nach Maßgabe des Arztes" unter Heranziehung von ausschließlich nicht zugelassenen Therapien definiert wurde.
  • Indirekt könnte die Unzulässigkeit einer Preisverhandlung nach § 130b SGBV allerdings auch die Preisanker für andere Arzneimittel erheblich erhöhen. Dies hat auch der G-BA erkannt und eine entsprechende Stellungnahme publiziert. Es benötige dringend eine gesetzliche Anpassung, dass alle erstattungsfähigen neuen Wirkstoffe einer Zusatznutzenbewertung nach § 35a SGB V zu unterziehen seien.

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Quellen:

Über den Autor

Ihr Ansprechpartner Dr. rer. nat. Ingo Hantke
Dr. rer. nat. Ingo Hantke
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