Orphan Drugs unter Druck – Handelsblatt und Plusminus: schlecht recherchiert aber aggressiv polemisiert

Do, 06.10.2016
In einem großen redaktionellen Feature des Handelsblatts und des ARD-Magazins Plusminus am 5. Oktober 2016 wird eine Generalattacke gegen die Orphan Drugs und die damit verbundene sogenannte „Orphanisierung“ geritten, die an verschiedenen Stellen offenbart, daß das verantwortliche Redaktionsteam nur ungenau recherchiert hat und entsprechend polemisch argumentiert. Im Folgenden wollen wir die einzelnen Argumente entsprechend beleuchten und werten:
Zunächst ist das Beispiel des fragile X-Syndroms und der beiden vorgestellten Patienten denkbar ungeeignet für den Nachweis der Unverantwortlichkeit der Industrie, da es sich bei dieser Erkrankung um einen komplexen genetischen Defekt handelt, der mit den bisherigen Paradigmen, auch mit modernen gentherapeutischen Ansätzen nicht behandelbar ist und auf absehbare Zeit nicht behandelbar sein wird.
Sachlich falsch ist die Aussage, daß bei 60% der Orphan Drugs ein Zusatznutzen nicht feststellbar war, weil schon aufgrund des Orphan Status ein Zusatznutzen zuerkannt werden muß, was auch als Incentivierung der Industrie überaus sinnvoll erscheint. Insofern sind alle Produkte zur Behandlung von seltenen Erkrankungen (100%) mit einem Zusatznutzen im Verfahren beschieden worden.
Weiterhin muß festgehalten werden, daß die europäische Zulassungsbehörde, die EMA, den Orphan Status aufgrund klar definierter Kriterien anerkennt, von einem willkürlichen und taktischen Slicing seitens der Industrie also keine Rede sein kann.
Außerdem ist sachlich falsch, daß die Preisbildung und damit die verbundenen Umsätze und Profite von der Industrie frei bestimmt werden können, wie das Handelsblatt schreibt. Auch Orphan Drugs haben sich den Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband zu unterziehen und sind teilweise Gegenstand von Schiedsverfahren, die insgesamt zu Preisabschlägen von durchschnittlich 30% führen.
Völlig abwegig ist der Vorwurf, daß die klinischen Studien bei seltenen Erkrankungen an weniger Patienten durchgeführt werden als die Studien bei Volkskrankheiten wie Diabetes oder Asthma. Hier leuchtet auch dem unbeteiligten Laien ein, daß seltenere Erkrankungen weniger Patienten als Untersuchungskollektiv zur Verfügung haben als die häufigsten Erkrankungen in der Bevölkerung.
Insgesamt irritiert die schlechte Qualität der Recherche seitens der beteiligten Redaktionen und unterstreicht den Verdacht, daß insbesondere das Handelsblatt sich zu einer Art Boulevard-Blatt der Wirtschaft entwickelt, ohne fundierte und sachkundige Recherche und belastbare Argumentation. Umso mehr bedarf es einer strategisch stringenten und intelligenten Kommunikation seitens der Industrie, die insgesamt auch noch verbessert werden könnte.

http://www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/sendung/orphan-drugs-100.html
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