Das IQWiG und der Goldstandard „Randomisierung“
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Univ.-Prof. Dr. med. Matthias P. Schönermark
Gründer und Geschäftsführer
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Fax: +49 511 64 68 14 – 18
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Randomisierung beschreibt die zufällige Zuteilung der Studienteilnehmer auf den Interventions- und den Kontrollarm der Studie und wird eingesetzt, um mögliche Störfaktoren (Confounder) zu neutralisieren. Diesem Zufallsprinzip bei der Studieneinteilung stehen oftmals ethische Einwände gegenüber, welche sich bspw. auf das Equipoise („Gleichgewicht“) beziehen. In diesem Sinne ist die ethische Voraussetzung für das Aufsetzen einer RCT die Gleichwertigkeit bzw. das Gleichgewicht zwischen den Studieninterventionen. Nach Auffassung des IQWiG ist das Equipoise und damit die ethische Vertretbarkeit jedoch auch bei allen anderen Studien und Datenquellen zu beachten. Zudem kann die Definition des Gleichgewichts bei genauerer Betrachtung zu Herausforderungen führen, denn wer stellt das Gleichgewicht von was und anhand welcher Kriterien fest?
Die Bewertung eines Gleichgewichts einer medizinischen Intervention kann sich auf eine ausgeglichene Gesamtbilanz hinsichtlich der Nutzenaspekte und des Schadenspotenzials beziehen. Diese Bewertung kann jedoch aus unterschiedlichen Perspektiven verschieden ausfallen, unter anderem da die Begriffe Nutzen und Schaden, aber auch die Gewichtung der einzelnen Parameter (z.B. Vorteile im Überleben vs. Nachteile bei der gesundheitsbezogenen Lebensqualität) bisher nicht eindeutig festgelegt sind. Das Gleichgewicht kann demnach nur schwer extern festgestellt werden, sondern erfolgt meist auf Basis einer individuellen Einschätzung des jeweiligen Studienprobanden, nachdem dieser nach derzeitigem medizinischem Wissensstand über die Alternativen aufgeklärt wurde. Die Einwilligung an einer RCT oder einer anderen Vergleichsstudie teilzunehmen, ist demnach nur möglich, wenn der Proband keine der Interventionen präferiert, um die Interpretierbarkeit der Ergebnisse nicht einzuschränken und wenn mit der Einwilligung keine anderen Anreize verbunden sind. Die ethische Vertretbarkeit einer RCT wird so aufgrund eines kollektiven Equipoises argumentiert. Ein fehlendes Gleichgewicht der Interventionen und damit die Nicht-Vertretbarkeit der Studie gilt nach dieser Argumentation jedoch nicht nur für RCTs, sondern vielmehr für jegliche Art von Vergleichen.
Laut IQWiG können allerdings Kriterien, anhand derer sich die Wahrscheinlichkeit für ein Ungleichgewicht innerhalb einer RCT – unabhängig von der individuellen (kollektiven) Meinung – beschreiben ließe, folgendermaßen definiert werden: Zwischen den Alternativen gibt es einen relevanten Unterschied in einem oder mehreren patientenrelevanten Endpunkten, welcher bereits mit hinreichender Sicherheit festgestellt wurde.
Diese Kombination der Bedingungen beruht nicht auf der Aufstellung einer Gesamtbilanz aus operationalisierten und individuellen Nutzen- und Schadenspotenzialen, sondern lässt eine indikations- und personenunabhängige Bewertung möglich werden. So muss das Gleichgewicht bspw. nicht aufgrund marginaler Unterschiede bei Surrogat-Parametern – welche zwar mit großer Sicherheit festgestellt, jedoch unterschiedlich beurteilt wurden – in Frage gestellt werden. Auch einer Beeinflussung der individuellen Beurteilung durch unterschiedliche Darstellungsarten, bspw. die Art der Skalierung (absolut vs. relativ), kann so entgegengewirkt werden.
Das IQWiG definiert auf dieser Basis nur zwei Fälle, in denen die Durchführung einer RCT tatsächlich nicht mehr erforderlich bzw. ethisch vertretbar ist: So kann gegen die Durchführung einer RCT – aufgrund eines fehlenden Gleichgewichts – sprechen, dass bereits mit hinreichender Sicherheit relevante Unterschiede in patientenrelevanten Endpunkten festgestellt wurden. Dies ist bspw. der Fall, wenn bereits mehrere RCTs (meist genügen zwei qualitativ hochwertige klinische Studien) zu einer bestimmten Intervention mit dem gleichen Kontrollarm durchgeführt wurden, sodass weitere Untersuchungen der Sachlage obsolet werden oder der seltene Fall, dass eine neue medizinische Intervention derart dramatische Effekte bspw. im Bereich des Gesamtüberlebens aufweist, dass sich eine weitere Evaluation nicht mehr vertreten ließe, da die Frage nach dem Nutzen bereits eindeutig beantwortet ist.
In (fast) allen anderen Fällen jedoch, ist das Aufsetzen einer RCT zur Klärung offener Fragen, laut IQWiG, die am besten geeignete Methode und sollte als Goldstandard für eine adäquate Nutzenbewertung herangezogen werden. Die ethischen Einwände in Bezug auf die Randomisierung bei RCTs können dabei entkräftet werden, da die beschriebene Rationale auch auf die meisten anderen vergleichenden Studien und Datenquellen zutrifft. Bei näherer Betrachtung ist die Bestimmung eines Gleichgewichts (Konzept „Equipoise“) – unter anderem aufgrund der individuellen Perspektiven – mit Herausforderungen verbunden. Aus diesem Grund sollte die Kombination dreier Aspekte (relevante Unterschiede, patientenrelevante Endpunkte, hinreichende Sicherheit) für eine indikations- und personenunabhängige Bewertung bezüglich eines potenziellen Ungleichgewichts genutzt werden.
Als etablierte Strategieberatung im Gesundheitswesen mit einem Schwerpunkt auf der Begleitung des Market Access neuer pharmazeutischer Produkte, insbesondere im Rahmen des AMNOG, setzt sich die SKC Beratungsgesellschaft mit den aktuellen methodischen Standards und deren Argumentation des IQWiG aber auch des G-BA intensiv auseinander, um gemeinsam mit ihren Klienten im Rahmen einer Gesamtstrategie jedwede Fallstricke nicht nur zu antizipieren, sondern frühzeitig angehen zu können.
VON Univ.-Prof. Dr. med. Matthias P. Schönermark, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der SKC Beratungsgesellschaft mbH und Thora Mrosowsky, M. Sc. Health Economics, SKC Beratungsgesellschaft mbH
Quellen:
Deutsches Ärzteblatt, Jahrgang 115, Blatt 3