Sind die Orphan-Privilegien im AMNOG-Verfahren bald Geschichte?

Quo vadis Orphan Drugs?

Fr, 25.02.2022
Im AMNOG Verfahren gelten für die sogenannten Medikamente zur Behandlung von seltenen Erkrankungen, zumeist als Orphan Drugs bezeichnet, besondere Privilegien in der Nutzenbewertung. So gilt gemäß den rechtlichen Rahmenbedingungen des SGB V der medizinische Zusatznutzen durch die Zulassung als belegt, der G-BA entscheidet auf der Grundlage einer eigens durchgeführten Nutzenbewertung ausschließlich über dessen Ausmaß.

Die fundierte Begründung dieser Sonderstellung für Orphan Drugs in der Nutzenbewertung ruht in dem Setzen eines wirtschaftlichen Anreizes für pharmazeutische Unternehmer trotz wirtschaftlicher Risiken eine Entwicklung von Arzneimitteln für seltene Erkrankungen voranzutreiben, da hier bislang häufig nur unzureichende Therapieoptionen zur Verfügung stehen. Diese Privilegien entfallen jedoch, wenn der Umsatz eines Arzneimittels innerhalb von 12 Monaten 50 Millionen Euro übersteigt, was zu einer Neubewertung des Zusatznutzens auf Basis eines Vergleichs mit einer festgelegten zweckmäßigen Vergleichstherapie führt. Diese Verfahrensweise und die besonderen Regeln für die Bewertung von Orphan Drugs befindet sich seit Jahresanfang in der verstärkten öffentlichen Diskussion.

Hintergrund: Das Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hatte am 12. Januar 2022 das Arbeitspapier „Evidenz zu Orphan Drugs" veröffentlicht. Insgesamt wurden vom IQWiG hierzu 41 Orphan-Drug-Bewertungen analysiert, bei denen sowohl eine spezielle Orphan-Bewertung als auch eine nachfolgende Nutzenbewertung durch das IQWiG erfolgte. Aus den zugrunde gelegten Verfahren und den Nutzenbewertungen stellte das IQWiG fest, dass der vormals gewährte Zusatznutzen unter Orphan-Bedingungen sich in einem Vollverfahren in ca. 50% der Fälle nicht bestätigt, wobei auf verfahrens- bzw. bewertungsspezifische Umstände zumeist wenig Rücksicht genommen wurde. Als Schlussfolgerung des Gutachtens sieht das IQWiG eine derzeitige Fehlsteuerung bei der Bewertung der Orphan Drugs und dass der gemäß gesetzlicher Grundlage gewährte Zusatznutzen nicht gerechtfertigt ist und dementsprechend abzuschaffen wäre.

Nach einer Veröffentlichung eines Gutachtens des IQWiGs, hat sich nun Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), in einem Interview mit dem Tagesspiegel zum Sachverhalt der Orphan Drugs positioniert. Auch Prof. Hecken sieht Überarbeitungsbedarf in den Verfahrensweisen, plädiert aber hingegen zur Fundamentalkritik des IQWiGs für eine deutlichere Differenzierung und eine Aufrechterhaltung der Sonderstellung für Orphan Drugs, die entsprechend anhand folgender Vorschläge jedoch modifiziert werden könnte:

  • Prof. Hecken fordert: „Nur noch das allererste neue Medikament gegen eine bestimmte seltene Erkrankung kommt in den Genuss des Orphan-Privilegs bei der Bewertung des Zusatznutzens." Alle darauffolgenden Therapeutika sollten sich einem Vollverfahren und einer Nutzenbewertung im Vergleich zu einer zweckmäßigen Vergleichstherapie unterziehen, da bereits eine vergleichbare Behandlungsalternative am Markt vorhanden sei.
  • Die derzeit existierende Grenze zur regulären Nutzenbewertung, die ein Mindestumsatz von 50 Millionen Euro markiert, soll auf 25 Millionen Euro herabgesetzt werden. Prof. Hecken möchte dadurch das Engagement der pharmazeutischen Unternehmer für gute Orphan Drugs Studien zu erhöhen.
  • Die Preisgestaltung von Einmaltherapien, insbesondere Gentherapeutika, sollte angepasst werden. Prof. Hecken spricht sich hier klar für den Pay-for-Performance-Ansatz aus, insbesondere in den Fällen, wo die Gentherapie ihr Heilungsversprechen nicht einhalten kann. Hierzu führt er beispielhaft die Gentherapie Zolgensma® an, wo nach einer Beobachtungsphase die klinische Realität eine kombinierte Therapie mit Spinraza® (Nusinersen) vorsieht, die nach ca. einem Jahr nach der Verabreichung von Zolgensma® beginnt und so durch die Kombinationstherapie erhebliche Zusatzkosten verursacht. Hier schlussfolgert Prof. Hecken, dass wenn eine Einmaltherapie ihr Versprechen in der klinischen Praxis nicht erfüllt, sich die Kosten einer Kombinationstherapie auch im Pricing widerspiegeln müssten.

Der Angriff auf die Orphan-Privilegien und die Abschaffung des gesetzlich gewährten Zusatznutzens wird derzeit intensiv diskutiert. Vor dem Hintergrund des Koalitionsvertrags der neuen Bundesregierung ist eine Überarbeitung des derzeitigen AMNOG-Verfahrens bereits beschlossene Sache. Inwiefern die aktuelle Diskussion zu einer Verschärfung der Bewertung von Orphan Drugs führen wird, bleibt abzuwarten. Als strategischer Partner beim Marktzugang von Orphan Drugs verfolgt, analysiert und antizipiert die SKC Beratungsgesellschaft die politischen Entwicklungen und bezieht diese direkt in die Beratung ihrer Klienten mit ein.

Quellen:

 

nach oben