Lifestyle oder Genetik
Nicht jede Krankheit ist als solche auf den ersten Blick erkennbar
Bereits im Kindesalter kann Adipositas die Gesundheit beeinträchtigen und bis ins Erwachsenenalter negative gesundheitliche Folgen haben. Dazu gehören schwerwiegende Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder bestimmte Arten von Krebs, die allesamt zu einer geringeren Lebenserwartung der Betroffenen beitragen. Nicht immer ist die Adipositas dabei eine Folge des persönlichen Lifestyles und in einigen Fällen versprechen konservative Behandlungsverfahren keinen Erfolg – wie beispielsweise bei den seltenen angeborenen Adipositasformen.
Bei diesen seltenen Formen der genetischen Adipositas handelt es sich um Erkrankungen des zentralen Nervensystems, die aufgrund von Funktionsverlustmutationen und damit verbundenen Störungen des Leptin-Melanocortin-Signalwegs zu einem pathologischen, nicht beherrschbaren Hunger-, und ausbleibenden Sättigungsgefühl führen. Diese sogenannte Hyperphagie ist charakterisiert durch ein übermäßiges Hungergefühl, assoziiert mit einer erhöhten Nahrungsaufnahme bei gleichzeitig verringertem Energieverbrauch und einer damit verbundenen enormen Gewichtszunahme, welche letztendlich in starkes Übergewicht bzw. eine Adipositas resultiert. Dies führt bei den betroffenen Patienten* oft zu einem enormen Leidensdruck, einem geringen Selbstwertgefühl, sozialer Isolation und einem erhöhten Risiko schwerwiegender Folgeerkrankungen.
Merkmal der seltenen genetisch bedingten Adipositas im Unterschied zu der Lifestyle-Adipositas ist die extreme Gewichtszunahme bei frühzeitigem Krankheitsbeginn. So kann es beispielsweise vorkommen, dass Patienten im Alter von gerade einmal 10 Jahren bereits ein Körpergewicht von fast 100 kg auf die Waage bringen. In solchen Fällen führen konventionelle Maßnahmen zur Gewichtskontrolle, wie z.B. eine Ernährungs-, Bewegungs- oder Verhaltenstherapie, weder zu einer anhaltenden Reduktion des Körpergewichts noch zu einer langfristigen Stabilisierung.
Eine gesicherte Diagnose legt dabei den Grundstein zur Bekämpfung dieser seltenen und bislang unzulänglich bekannten Erkrankung. Aufgrund der Seltenheit sowie dem geringen Bewusstsein der genetischen Erkrankung findet eine genetische Diagnostik häufig zu spät oder gar nicht statt. Eine Patientenorganisation existiert aktuell nicht und es gibt lediglich wenige spezialisierte Kliniken, die sich mit der genetischen Adipositas auseinandersetzen. Dabei könnten vor allem junge Menschen mit extremer Adipositas von einer gesicherten Diagnostik profitieren, denn mittlerweile stehen mit Metreleptin und Setmelanotid medikamentöse Therapien zur Verfügung, die zur Behandlung monogener Adipositasformen eingesetzt werden, die genetischen Defekte kompensieren, das Gleichgewicht von Hunger und Sättigung wiederherstellen und somit zu einem signifikanten und anhaltenden Gewichtsverlust beitragen. Gleichzeitig bedeutet eine solche Bändigung des stetigen Hungergefühls eine enorme Verbesserung der Lebensqualität für die betroffenen Patienten sowie deren Angehörigen – sowohl auf physischer, als auch auf psychischer Ebene.
Als Strategieberatung im Gesundheitswesen setzt sich die SKC Beratungsgesellschaft dafür ein, dass neue Medikamente für seltene Erkrankungen Zugang zum deutschen Markt bekommen und somit die Versorgung betroffener Patienten verbessert werden kann. Deshalb berichten wir in dieser Blogserie zum Rare Disease Day über ausgewählte seltene Erkrankungen, um das Bewusstsein und die Wahrnehmung für diese zu stärken.
Quellen:
- Statista. Erwachsene mit Übergewicht oder Fettleibigkeit. 2021.
- Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG)
- World Health Organizations (WHO). Obesity and overweight (WHO Fact sheet). 2021.
- Kühnen et al., 2016.
- Beghini und Scherer. 2021.
- Deutsches Ärzteblatt. 2022.
- Wabitsch et al., 2022.
*Die Bezeichnung Patient / Patienten richtet sich an alle Personen unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung.
Über den Autor
Consultant
M.Sc. Biologie
Fax: +49 511 64 68 14 – 18