ATMPs für seltene Erkrankungen

Der große Heilbringer oder ein kostspieliges Risiko?

Fr, 24.02.2023
Große Hoffnungen liegen auf der Entwicklung von Arzneimitteln für neuartige Therapien (engl. Advanced Therapy Medicinal Products, ATMPs), insbesondere wenn es um die Behandlung von seltenen Erkrankungen geht. Viele Experten und Patienten mit seltenen Erkrankungen sehen in ATMPs erstmals eine tatsächliche Chance: ein Weg Richtung Heilung. Spezifische Hürden etwa in der Evidenzgenerierung, den sich entwickelnden regulatorischen und HTA-bezogenen Anforderungen sowie durch die oftmals notwendigen sehr hohen Einmalkosten für Payer stellen hier allerdings erhebliche zu meisternde Herausforderungen für einen erfolgreichen Market Access dar.

Bei der Mehrheit der bislang zugelassenen ATMPs in Deutschland handelt es sich um Orphan Drugs und somit um Therapiemöglichkeiten speziell für Patienten mit selten Erkrankungen. ATMPs lassen sich primär in drei Kategorien einteilen: Gentherapeutika, somatische Zelltherapeutika und biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte. In der Versorgungsrealität sind derzeit überwiegend Gentherapien anzutreffen, also Therapien, deren Wirkweise auf dem Einbringen von Nukleinsäuren mittels Gentransfers beruht.

  • Beispielsweise ist seit 2021 die Gentherapie Libmeldy® zur Behandlung der Metachromatischen Leukodystrophie (MLD) in Deutschland zugelassen. Die MLD ist eine seltene, erbliche Stoffwechselkrankheit, die bei Kindern schwere Nervenschäden verursacht und schnell zum Tod führt. Dem Hersteller half hier eine Geschwisterkind-Analyse innerhalb der Studien: Ein erfolgreich nachgewiesener dramatischer Effekt führte für Libmeldy® zu einem erheblichem Zusatznutzen in einer Subpopulation. Wenngleich die Einmalkosten mit über 2 Mio € vergleichsweise hoch sind, ergibt sich laut dem unparteiischen Vorsitzenden des G-BA Prof. Hecken „jetzt zumindest eine Option, die den betroffenen Kindern ermöglicht, mit weniger körperlichen Beeinträchtigungen zu leben."
  • Eine weitere, zukünftige ex vivo Gentherapie führt bei Patienten mit Sichelzellkrankheit (SCD) sowie der transfusionsabhängigen Beta-Thalassämie (TDT) laut Aussagen der Hersteller erstmals mit nur einer Behandlung zu einer funktionellen Heilung. Es handelt sich hierbei um das Arzneimittel Exagamglogene Autotemcel (Exa-Cel), welches als erste CRISPR-Cas9 basierte Therapie patienteneigene Stammzellen genetisch so editiert, dass die ehemals erheblich eingeschränkte Funktion der Erythrozyten anhaltend wiederhergestellt wird. Allerdings wurde für die Indikation TDT bereits im Juni 2019 die Gentherapie Zynteglo® in der EU zugelassen. Nach erfolgter G-BA Nutzenbewertung für Zynteglo® wollten jedoch die Krankenkassen die geforderten knapp 1,6 Mio € nicht übernehmen. Letztlich legte die Schiedsstelle einen Preis fest, der um mehr als die Hälfte niedriger als der geforderte Preis war. Daraufhin wurde die Vermarktung erst temporär und schließlich vollständig gestoppt und das Arzneimittel vom deutschen Markt zurückgezogen. Hier wird sich zeigen, welchen weiteren Weg nun Exa-Cel in der TDT (und SCD) gehen wird.
  • Als weiteres Beispiel innerhalb der heterogenen Produktklasse der Gentherapien etablieren sich seit erstmaliger Zulassung in 2018 zunehmend die CAR-T-Zelltherapien (chimeric antigen receptor) auf dem deutschen Markt. In der Onkologie kommen derartige Innovation regelhaft zunächst für späte Therapielinien auf den Markt, d. h. für Patienten, bei den konventionelle Behandlungen nicht oder nicht mehr anschlagen. Ein Beispiel ist die Behandlung des Multiplen Myeloms, einer seltenen Krebserkrankung des Knochenmarks: Trotz zahlreicher chemotherapeutischer und immunologischer Therapiemöglichkeiten ist die Rezidivrate hoch, die Krankheit nicht heilbar. Interessanterweise sind hier bereits mit Abecma® und Carvykti® zwei CAR-T-Zelltherapien zugelassen. Abecma® ist bereits seit Jan 2022 auf dem Markt, der Markteintritt von Carvykti® erfolgte ein Jahr später zum 15.02.23. Es wird sich zeigen, wie sich die neue Konkurrenz auf die Versorgungsrealität auswirkt.

Durch die verschiedenen Interessen der involvierten Stakeholder und Entscheider sowie der Schaffung von vermutlich weitreichenden und bedeutsamen Erstpräzedenzen ist die Diskussion um die derzeitige und zukünftige Situation der ATMPs stark polarisiert. SKC monitoriert, analysiert und antizipiert die Verfahren von aktuellen und zukünftigen ATMPs und bezieht u.a. die entsprechenden Erfolgs- und Risikofaktoren direkt in die alltäglichen Beratungen der Klienten mit ein. Eine umfassende und vorhersehende strategische Planung und Risikoabschätzung in allen Phasen von R&D bis zu den Preisverhandlungen ist für den Gesamterfolg hier essenziell.

Quellen:

Über den Autor

Ihr Ansprechpartner Dr. rer. nat. Dominik  Müller
Dr. rer. nat. Dominik Müller
M.Sc. Biomedizin
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Fax: +49 511 64 68 14 – 18

Orphan drugs in Deutschland


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