Pharma-Paket der EU-Kommission

Ein Überblick

Do, 13.07.2023
Am 26.04.2023 legte die EU-Kommssion ein umfassendes Änderungsvorhaben zur Reformierung der pharmarechtlichen Vorschriften in der EU vor. Das sog. Pharma-Paket basiert auf der Arzneimittelstrategie für Europa und gliedert sich in eine Richtlinie zur Schaffung eines Unionskodexes für Humanarzneimittel und eine Verordnung, die die Verordnungen (EG) Nr. 726/2004 (Zulassung und Überwachung von Arzneimitteln), Nr. 141/2000 (Arzneimittel für seltene Leiden) und Teile der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 (Kinderarzneimittel) ablösen soll.

Zielsetzung

Das Pharma-Paket soll ein legislatives Mittel zu Erreichung der in der Arzneimittelstrategie erklärten (Haupt)- Ziele sein:

  • Stärkung der Versorgungssicherheit für Patienten (insbesondere in Bereichen mit ungedecktem Bedarf, etwa bei antimikrobiellen Resistenzen (AMR) und Orphan Drugs)
  • Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und Innovation
  • Stärkung der Resilienz des Systems
  • Gewährleistung einer starken Stimme auf internationaler Bühne

 

Richtlinienvorschlag

Gegenstand des Richtlinienvorschlags zur Schaffung eines reformierten Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel sind unter anderem umfassende Änderungen bezüglich des Marktzutritts und der Vermarktung von Arzneimitteln. Im Überblick:

1. Reform der zulassungsrechtlichen Schutzinstrumente

Mit Blick auf die (stetig angestiegene) Dauer von klinischen Entwicklungsphasen erkennt die EU-Kommission an, dass es zur Amortisierung der ebenso gestiegenen Entwicklungskosten für Arzneimittel eines umfassenden Rechtsschutzes bedarf. Das Patentrecht inklusive ergänzender Schutzzertifikate (SPC) wird durch die zulassungsrechtlichen Schutzinstrumente Unterlagenschutz und Vermarktungsexklusivität ergänzt. Gleichzeitig möchte die EU-Kommission den Marktzutritt für Generika vereinfachen, die für die Gesundheitssysteme eine finanzielle Entlastung bedeuten.

Um diesen Interessenkonflikt aufzulösen, sollen die Fristen der zulassungsrechtlichen Schutzinstrumente modifiziert werden. Art. 80 ff. RL-Entwurf sieht vor, dass der Unterlagenschutz grundsätzlich von aktuell acht Jahren auf sechs verkürzt wird. Innerhalb dieser sechs Jahre ab Zulassung des Referenzarzneimittels darf sich ein Generikahersteller (Zweitanmelder) in seinem Zulassungsantrag nicht auf die Ergebnisse der pharmazeutischen, vorklinischen und klinischen Studien und Versuche des Erstanmelders beziehen. Zu den sechs Jahren Unterlagenschutz tritt eine Vermarktungsexklusivität von zwei Jahren, innerhalb der das Generikum nicht in Verkehr gebracht werden darf.

Diese Schutzfristen sollen in bestimmten Fällen verlängert werden können, etwa wenn innerhalb der Schutzfrist eine zusätzliche therapeutische Indikation mit signifikantem klinischen Zusatznutzen nachgewiesen wird oder wenn innerhalb der ersten zwei (bei non-profit-Organisationen und KMUs drei) Jahre ab Zulassung nachgewiesen wird (also etwa bei repurposed drugs), dass das Arzneimittel kontinuierlich und bedarfsdeckend in allen Mitgliedsstaaten, in denen es zugelassen ist, vertrieben wird.

Gleichzeitig wird die Möglichkeit zur Aussetzung des zulassungsrechtlichen Schutzes bei Zwangslizenzen wegen eines public health emergency geschaffen, Art. 80 Abs. 4 RL-Entwurf.

2. Vereinfachung des Markteintritts für Generika und Biosimilars

Der Richtlinienvorschlag vereinfacht den Wortlaut der bestehenden Regelung und sieht vor, dass für die Zulassung eines Generikums keine vorklinischen oder klinischen Versuche durchgeführt, sondern lediglich eine Bioäquivalenzstudie vorgelegt werden muss, die die Gleichwertigkeit mit dem Referenzarzneimittel nachweist. Zugleich sollen verschiedene orale Darreichungsformen mit sofortiger Wirkstofffreigabe (immediate-release oral pharmaceutical forms) als identisch gelten, Art. 9 Abs. 3 RL-Entwurf. Für Biosimilars sollen Vergleichbarkeitsstudien vorzulegen sein. Die Voraussetzungen für den Beleg, dass ein Generikum vorliegt, würden somit unionsweit gesenkt bzw. vereinfacht.

Zugleich sieht Art. 85 RL-Entwurf eine Ausdehnung, Vereinheitlichung und Konkretisierung des sog. Roche-Bolar-Privilegs vor. Dieses regelt, dass die Durchführung von Studien und Versuchen zur Erlangung einer arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht als Verletzung eines Patents oder eines ergänzenden Schutzzertifikats angesehen werden kann, vgl. § 11 Nr. 2b PatG. Dem Entwurf nach soll sich das Privileg fortan auf alle Handlungen zu Zwecken von Versuchen, Studien und anderen Tätigkeiten zur Generierung von Daten für folgende Verfahren erstrecken: Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Generika, Biosimilars, hbyriden oder bio-hybriden Arzneimitteln und für nachfolgende Änderungen (1.); für Gesundheitstechnologiebewertungen nach VO (EU) 2021/2282 (2.); für Preisgestaltung und Kostenerstattung (3.), Art. 85 lit. a RL-Entwurf. In Art. 85 lit. b RL-Entwurf werden exemplarisch und nicht abschließend privilegierte Tätigkeiten aufgezählt. Zudem wird der Adressatenkreis auf Dritte, die verbundene Handlungen vornehmen, erweitert.

3. Abbau weiterer regulatorischer Hürden; Umweltverträglichkeit

Auch weitere regulatorische Hürden für den Markteintritt von Arzneimitteln sollen abgebaut werden. Das Zulassungsverfahren soll auf maximal 180 Tage verkürzt werden, Art. 30 RL-Entwurf. Des Weiteren soll eine Arzneimittelzulassung grundsätzlich unbefristet gelten, Art. 46 RL-Entwurf, wobei eine Befristungsmöglichkeit auf fünf Jahre in Einzelfällen (etwa bei objektiven und hinreichend begründeten Sicherheitsbedenken) vorgesehen ist. Die sog. Sunset-Regelung, die die erteilte Zulassung erlöschen ließ, wenn das genehmigte Arzneimittel nicht innerhalb von drei Jahren in Verkehr gebracht wurde, soll wegfallen.

Gesteigerte regulatorische Anforderungen würden die Arzneimittelhersteller dem RL-Entwurf nach aber durch neue umfassende Umweltverträglichkeitsprüfungen und die Pflicht zur Bereitstellung weiterer umweltbezogener Informationen treffen, Art. 22 RL-Entwurf. Die Auswirkungen, die ein Arzneimittel und seine Entwicklung und Produktion auf die Umwelt haben, sollen hierbei weitreichend und nachvollziehbar offengelegt werden.

4. Heilmittelwerberecht

Die Definition von Werbung wird in Art. 175 RL-Entwurf von der bestehenden RL übernommen und ergänzt, sodass nun auch Werbetätigkeiten im Bezug auf unbestimmte Arzneimittel erfasst sein sollen. Das entspricht der Rechtsprechung des EuGH. Der Kreis der vom Heilmittelwerberecht erfassten Personen wird dem Vorschlag nach auf Personengruppen erweitert, die (insbesondere oder nur) zur Abgabe von Arzneimitteln befugt sind, Art. 180 RL-Entwurf. Vergleichende Werbung, insbesondere solche, die ein anderes Arzneimittel negativ hervorzuheben geeignet ist, soll untersagt werden. Werbung, die eine vergleichsweise größere Wirksamkeit eines Arzneimittels suggeriert, soll nur möglich sein, wenn dieser Nachweis durch die Zusammenfassung der Produktmerkmale geführt werden kann.

Verordnung

Die neue Verordnung hat ergänzend unter anderem folgende Änderungen zum Gegenstand:

1. Anreize zur Bekämpfung von Antimikrobiellen Resistenzen

Um den steigenden Kosten und Gesundheitsgefahren zu begegnen, die durch antimikrobielle Resistenzen (AMR) verursacht werden, will die EU-Kommission Anreize kreieren, in diesem Bereich die Forschung und Entwicklung voranzutreiben. Als Instrument dafür soll ein sog. Datenexklusivitätsgutschein geschaffen werden, der ein zusätzliches Jahr an Unterlagenschutz gewähren soll. Maßgebliche materielle Erteilungsvoraussetzung ist ein erheblicher klinischer Nutzen mit Blick auf die Resistenz gegen AMR. Diese verlangt, dass

  • das neue Mittel entweder eine neue Klasse antimikrobieller Mittel darstellt (1.),
  • einen sich deutlich von bestehenden unterscheidenden, neuen Wirkmechanismus aufweist (2.) oder
  • einen Wirkstoff ernthält, der zuvor nicht in einem Arzneimittel zugelassen war und der sich gegen einen multiresistenten Organismus und eine schwere oder lebensbedrohliche Krankheit richtet (3.), Art. 40 VO-Entwurf.

Nach Art. 41 Abs. 3 VO-Entwurf ist die einmalige Übertragung des Gutscheins möglich, das Exklusivitätsrecht könnte also verkauft werden. Ein Zweiterwerb ist allerdings untersagt.

2. Orphan Drugs, Kinderarzneimittel

Auch bei Arzneimitteln für seltene Leiden (Orphan Drugs) sollen die Fristen der zulassungsrechtlichen Schutzinstrumente angepasst werden. Dazu soll es flexible Verlängerungsmöglichkeiten geben, etwa bei der Schließung einer bedeutenden medizinischen Versorgungslücke.

Die Entwicklung von Kinderarzneimitteln soll verstärkt gefördert werden, als Instrument hierfür ist unter anderem eine Verlängerung des ergänzenden Schutzzertifikats angedacht. Im Übrigen enthält der VO-Entwurf umfassende Regelungen zu pädiatrischen Prüfkonzepten.

3. Arzneimittelverfügbarkeit, Versorgungssicherheit

Vorgesehen ist, dass die Inhaber von Arzneimittelzulassungen Pläne zur Vermeidung von Engpässen erstellen. Diese sollen stets aktuell sein, die Zulassungsinhaber soll zudem eine Informationspflicht gegenüber den zuständigen Behörden, etwa der EMA, treffen.

Die Debatte ist entflammt

Mit ihrem Pharma-Paket stößt die EU-Kommission eines der größten Änderungsvorhaben im Arzneimittelsektor jemals an. Ob und inwieweit sie mit ihren Entwürfen den in der Arzneimittelstrategie erklärten Zielen näher rückt, bleibt abzuwarten. Die Debatte ist entflammt, in jedem Fall kommen auf die Akteure am Markt tiefgreifende Änderungen zu, auf die sich vorzubereiten gilt.

Seit fast 20 Jahren berät die SKC Beratungsgesellschaft pharmazeutische, biotechnologische und medizintechnische Hersteller zu anstehenden Gesetzesänderungen und deren Implikationen für ihre Produkte. Wir beziehen unsere Einschätzungen zu den Entwicklungen und deren Konsequenzen direkt in die Beratung unserer Klienten ein. We are the market access special forces.

Quellen:

Über den Autor

Ihr Ansprechpartner Univ.-Prof. Dr. med. Matthias P. Schönermark
Univ.-Prof. Dr. med. Matthias P. Schönermark
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